Beschränkungen kryptographischer Verfahren sind verfassungswidrig

Eine staatliche Beschränkung der Herstellung, des Angebots und der Verwendung von kryptographischen Verfahren, die zum Schutz der Vertraulichkeit von Informationen und Nachrichten in Kommunikationssystemen eingesetzt werden, würde die Grundrechte der (wirtschaftlichen) Entfaltungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, der Vertraulichkeit der Kommunikation aus Art. 10 GG sowie des informationellen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG verletzen.

Gesetzliche Regelungen, die nur solche Verschlüsselungsverfahren erlauben, die den Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten einen Zugriff ermöglichen oder die Hinterlegung einer Kopie aller Schlüssel und ähnliche Verfahren vorsehen, sind unverhältnismäßig. Sie sind zum wirksamen Schutz der Rechtsgüter der inneren Sicherheit ungeeignet. Kryptoverfahren werden weltweit (u.a. über das Internet) vertrieben und können ohne größeren Aufwand frei bezogen werden. Damit kann auch die (kleine) Zielgruppe für gesetzliche Abhörmaßnahmen jederzeit über nicht entzifferbare Verschlüsselungsverfahren verfügen, ohne das dies verhindert werden könnte.

Selbst die Tatsache der Verschlüsselung einer Nachricht kann mit Hilfe von steganographischen Verfahren vor Dritten und damit auch staatlichen Sicherheitsbehörden wirksam verborgen werden. Unzulässige Verschlüsselungsverfahren können nicht wirksam verfolgt werden. Angesichts der legitimen und grundrechtlich geschützten Interessen, private oder geschäftliche Nachrichten gegen Abhörrisiken selbst zu schützen, sind gesetzlichen Regelungen, die die Verwendung kryptographischer Verfahren unter Strafe stellen würden, enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Entsprechende Strafbestimmungen müssen an der mangelnden Bestimmtheit verfassungsrechtlich scheitern. Damit kommt der staatlichen Beschränkungen der Verwendung von (bestimmten) Kryptoverfahren praktisch keine Abschreckungswirkung zu. Angesichts der offenkundigen Ungeeignetheit würden Verfahren, die die Hersteller und Anbieter verpflichten, Duplikate der privaten Entschlüsselungsschlüssel vorsorglich für zukünftige staatliche Überwachungsmaßnahmen aufzubewahren, das Übermaßverbot überschreiten. Durch eine Vorratsspeicherung oder andere Verfahren des Zugriffs Dritter auf verschlüsselte Dokumente wŸrden die kryptographischen Verfahren insgesamt unsicher. Das Vertrauen der Kunden und Anwender in solche Verfahren würde dadurch erheblich erschüttert. Dies hätte negative Auswirkungen auf diesen Dienstleistungsmarkt. Der staatlich nicht kontrollierte und überwachte Einsatz von kryptographischen Verfahren würde kriminalisiert und zum Entstehen eines schwarzen Marktes für derartige Produkte führen.

Gegen eine Beschränkung von Verschlüsselungsverfahren spricht aus verfassungsrechtlicher Sicht der unverhältnismäßige wirtschaftliche Aufwand, der von Seiten der Hersteller und Anbieter von Sicherheitstechnologien erbracht werden müßte, um die erforderlichen technisch-organisatorischen Voraussetzungen einer Schlüsselverwaltung zu entwickeln und vorzuhalten, ohne daß diese Maßnahmen zum wirksamen Schutz der inneren Sicherheit geeignet sind. Bürger, Verbraucher und Wirtschaft, darunter auch viele Anwender, die zur Wahrung eines Berufsgeheimnisses verpflichtet sind, haben das verfassungsrechtlich geschützte Interesse, vertraulich zu kommunizieren. Kryptographische Verfahren dienen aber nicht nur dem Schutz vertraulicher Kommunikation (Verschlüsselung), sondern auch der Rechtssicherheit (digitale Signatur). Eine staatliche Beschränkung von Kryptoverfahren würde außer Verhältnis zu den sich daraus folgenden Risiken und Schäden für eine vertrauliche und rechtssichere Kommunikation stehen. Eine Kryptoverfahren einschränkende Gesetzesinitiative stünde darüber hinaus den Bestrebungen entgegen, den Standort Deutschland für neue Informationstechnologien attraktiv zu machen.

14. Januar 1997

Dr.jur. Johann Bizer, Institut für öffentliches Recht, Universität Frankfurt a.M.
Dr. Joachim Rieß, Leiter der Arbeitsgruppe juristische Aspekte der Teletrust Deutschland e.V.
Univ.-Prof. Dr. jur. habil. Alexander Roßnagel, Universität GH Kassel

Diese Stellungnahme unterstützen außerdem:

Dr. Heinz Dieter Böcker, GMD Darmstadt
Dr. med. Michael Braschke, Celle
Christian Buggle, Karlsruhe
Dr. Herbert Burkert, Kön, Universität St. Gallen,
Dr. Ralf Fritzsch, Bundesanstalt für Wasserbau, Hamburg,
Oliver Frömel, Karlsruhe,
Dr. Rüdiger Grimm, GMD Darmstadt,
Stefan Kelm, Universität Hamburg,
Klaus-Peter Kossakowski, Hamburg,
Paul Mertes, LL.M. (USA), Deutsche Telekom AG
Dr. H.-J. Mück, Universität Hamburg,
Prof. Dr. Andreas Pfitzmann, TU Dresden,
Kai Rannenberg, Universität Freiburg,
Sebastian Schreiber, Tübingen,
Ralf Senderek, Wassenberg,
Willi Siedbürger, TU Dresden,
Dr. Rudolf Theisen, Forschungszentrum Jülich,
Benjamin Trüstedt, Heidelberg, Freiburg,

Weitere Unterstützung können Sie per email an bizer@jur.uni-frankfurt.de bekunden.


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